Wahre Worte eines Mediziners
Dr. med. Hannes Kapuste in seinem Vortrag am 26. Januar 2001 geht mit seinem Berufstand ins Zwiegespräch...
Dr. med. Hannes Kapuste in seinem Vortrag am 26. Januar 2001 geht mit seinem Berufstand ins Zwiegespräch...
Fatale
Versäumnisse der Schulmedizin
"Ich bedanke mich für die große Ehre, vor der Gesellschaft für außergewöhnliche Ideen zu sprechen und dabei doch recht
naheliegende Ideen vorzutragen.
Da naheliegende Ideen durch die kluge Propaganda unseres News Management im Gesundheitswesen weit aus unserem Bewusstsein fortgeschwemmt werden können, ist es dann doch wieder außergewöhnlich, unbeirrt an ihnen festzuhalten.
Es geht dabei um die die Größenordnung der immanenten Spannung zwischen der Kompetenz des einzelnen Arztes und dem Fortschritt der gesamten medizinischen Wissenschaft. Zu glauben, dass der eine das andere beherrschen kann, ist naheliegend absurd. Und doch muß inzwischen keiner von uns mehr stöhnen oder lachen, wenn es heißt: ...,,fragen Sie Ihren ARZT"...
Ich zeige Ihnen die erste Abbildung [aus: Information und Meta-Information - eine internationale Studie bei Ärzten, von Hannes Kapuste in black box Studien über die Ausbildung an der Universität, Band 1, Nr.3, Juni 1983, Institut für Ausbildungsforschung, München]
ABBILDUNG 1: Vergleich der Prozentzahlen von 1117 deutschen Medizinstudenten kurz vor dem Staatsexamen mit denen von 362 amerikanischen, kanadischen und schweizer Medizinstudenten vor ihren Abschlussexamen auf 180 multiple choice Fragen, die nach Einschätzung von Professoren der Medizin alle für den ARZT wichtig sind.
Wenn
man mit Benjamin Bloom (Learning for Mastery 1968) davon ausgeht,
dass ,,Eine Gruppe von Ausgebildeten als kompetent für ein
bestimmtes Feld beruflicher Aufgaben gelten kann, wenn mit einem
objektiven Test gezeigt werden kann, dass 95% der Gruppenmitglieder
95% der für das berufliche Feld inhaltlich gültigen Aufgaben
richtig lösen." ist dieses Ergebnis sehr unbefriedigend.
Die Abbildung zeigt Leistungen, die von der oben formulierten Norm noch weit entfernt sind. Kein einziger der Studenten kommt an 95% richtiger Lösungen heran, geschweige denn der größte Teil der Gruppe. Dass das auch für amerikanische Medizinstudenten gilt, obwohl sie wie auch die kanadischen und schweizer Studenten deutlich besser als die deutschen waren, war 1968 die große Überraschung für uns. Wir hatten gehofft, mit Reformen der ärztlichen Ausbildung nach amerikanischen Vorbildern das Ziel, einen allgemein kompetenten ARZT auszubilden, doch noch retten zu können. Damit war es aber nach diesem Ergebnis vorbei.
Anhand der Abbildung 2 will ich Ihnen noch zeigen, wie dieses Ergebnis bei den Examenskandidaten an der Universität München für die einzelnen Fragen ausgesehen hat. In der Abbildung entspricht jeder Punkt einem Wert auf der waagerechten Prozentskala für 1967 und einem anderen oder gleichen Wert auf der senkrechten Skala für 1968. Man sieht, dass die Werte sehr eng beieinander liegen. Das zeigt, wie genau wir sagen konnten, wie viel Prozent richtiger Antworten die ärztliche Ausbildung an der Universität München an den inhaltlichen Punkten der einzelnen Fragen erbringt. Die Korrelation zwischen beiden Wertepaaren beträgt 0.96.
Abbildung 2: Diagramm der Prozentzahlen richtiger Antworten von Examenskandidaten in München 1967 und 1968 auf Fragen des internationalen Tripod-Tests für Medizinstudenten und Ärzte.
Ganze
zwei Fragen des Tests liegen in dem von Benjamin Bloom definierten
Kompetenzbereich von 95%, einige liegen nahe daran, andere sind weit
davon entfernt. Offensichtlich wird der Stoff von den Studenten am
Ende ihrer Ausbildung bei weitem nicht beherrscht. Wer daran noch
zweifeln möchte, lese die Aussagen dieser Studenten selbst. Wir
konnten eine Zufallsstichprobe von 57 Studenten aus 64 zum
Staatsexamen im Sommersemester 1967 in München angetretenen
Vierergruppen befragen und das Ergebnis publizieren [Anlage 1]
Nach diesen Überlegungen und Ergebnissen - und den Erfahrungen der meisten von uns - kann es einen allgemein kompetenten ARZT schon lange nicht mehr geben. Somit stellt sich die Frage, wie eine ärztliche Ausbildung und ein Gesundheitswesen aussehen müsste, in denen diese Tatsache berücksichtigt und jedem Arzt die Möglichkeit eingeräumt wird, sich seiner Kompetenz entsprechend zu spezialisieren. Dazu müßte dann ein System der ärztlichen Versorgung existieren, in dessen Strukturen die Kooperation der spezialisierten Ärzte auch gelingt: Jeder Patient muss die für seine Behandlung kompetenten Ärzte finden können.
Wir haben seinerzeit ein Konzept für eine solche Lösung vorgestellt [Kapuste H, Schuster W, Sturm E: Differenzierte medizinische Ausbildung und regionale Patientenversorgung als Aufgaben eines medizinischen Fachbereichs. Ein Modell für die Universität Osnabrück. Schriften zum Bildungswesen in Osnabrück. Verlag A Fromm, Osnabrück 1972; sowie in: black box Studien über die Ausbildung an der Universität. Institut für Ausbildungsforschung GmbH, München, 1(2):35-106, Mai 1972]. Das Konzept ist nie verwirklicht worden. In der DDR gab es ein System von Ambulatorien, in denen die Kompetenzprobleme der einzelnen Ärzte viel besser gelöst werden konnten. Nach der Wiedervereinigung wurden sie alle aufgelöst.
Unser Gesundheitswesen hat das Problem der mangelhaften ärztlichen Kompetenz nur propagandistisch gelöst, einerseits durch unrealistische Ratschläge wie ... fragen Sie Ihren ARZT... und dem entsprechend andererseits die ärztliche Ausbildung zu einem Training entwickelt, in unsicheren Situationen doch sicher und beruhigend aufzutreten. Das haben schon vor mehr als 40 Jahren die Erfahrungen von Soziologen ergeben, die dazu selbst Medizin studiert haben. [,,Training for Uncertainty" Renée Fox in ,,The Student Physician" von Merton, Reader und Kendall, Cambridge, Mass. 1957]. Der Soziologe Howard Becker beschreibt diese Anpassung in ,,The Fate of Idealism in Medical School" - das Schicksal des Idealismus in der ärztlichen Ausbildung [in Boys in White. Student Culture in Medical School, Chicago 1961].
Das müsste aber so nicht sein. Das Problem der Diskrepanz zwischen der Kapazität des einzelnen Menschen und dem Fortschritt seines Fachgebietes gibt es ja nicht nur in der Medizin, sondern fast überall. In der freien Wirtschaft vollzieht sich eine solche Entwicklung ohne große Probleme aufgrund der Wechselwirkung zwischen freien Preisen, Angeboten und Nachfrage.
Unser Gesundheitswesen aber verbietet dem ARZT, mit seinen Patienten ein Honorar für seine Arbeitszeit zu verabreden und setzt sowohl der Spezialisierung der ÄRZTE als auch ihrer Zusammenarbeit miteinander sehr enge Grenzen. Damit kann der Arzt dem Problem seiner systembedingten Inkompetenz in der Regel nicht mehr entfliehen.
So zeigt unser Gesundheitswesen die Merkmale einer fehlfunktionierenden Planwirtschaft. Und ich stelle die Frage, warum sich so eine Planwirtschaft entgegen den allgemeinen Wertvorstellungen in unserer Demokratie so lange halten kann.
Soweit von Herrn Kapuste.
Es hat sich wohl bewährt, möchte man da wohl sagen. Während im alten China die Ärzte und Heiler nur dann bezahlt wurden wenn sie die Kranken tatsächlich geheilt hatten, ist es hierzulande doch weit lukrativer in die Krankheit zu investieren. Gegeißelt von den überschussgeplagten Krankenkassen und gesponsort von der Pharmaindustrie kann man es sich in seinem Sumpf doch recht bequem machen. Zumal man, unabhängig der sozialen und fachlichen Kompetenz, davon doch recht gut leben kann. Nur nichts hinterfragen und "never change a running System"!
Demnächst mehr zu Patentrecht und Medizin.
Ich freue mich auf Kommentare, Post, Lob und Tadel. Viel Spaß
"Ich bedanke mich für die große Ehre, vor der Gesellschaft für außergewöhnliche Ideen zu sprechen und dabei doch recht
naheliegende Ideen vorzutragen.
Da naheliegende Ideen durch die kluge Propaganda unseres News Management im Gesundheitswesen weit aus unserem Bewusstsein fortgeschwemmt werden können, ist es dann doch wieder außergewöhnlich, unbeirrt an ihnen festzuhalten.
Es geht dabei um die die Größenordnung der immanenten Spannung zwischen der Kompetenz des einzelnen Arztes und dem Fortschritt der gesamten medizinischen Wissenschaft. Zu glauben, dass der eine das andere beherrschen kann, ist naheliegend absurd. Und doch muß inzwischen keiner von uns mehr stöhnen oder lachen, wenn es heißt: ...,,fragen Sie Ihren ARZT"...
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I
Medizinisches Wissen und ärztliche Kompetenz:
Der Arzt im Dilemma
Ich zeige Ihnen die erste Abbildung [aus: Information und Meta-Information - eine internationale Studie bei Ärzten, von Hannes Kapuste in black box Studien über die Ausbildung an der Universität, Band 1, Nr.3, Juni 1983, Institut für Ausbildungsforschung, München]
ABBILDUNG 1: Vergleich der Prozentzahlen von 1117 deutschen Medizinstudenten kurz vor dem Staatsexamen mit denen von 362 amerikanischen, kanadischen und schweizer Medizinstudenten vor ihren Abschlussexamen auf 180 multiple choice Fragen, die nach Einschätzung von Professoren der Medizin alle für den ARZT wichtig sind.

Die Abbildung zeigt Leistungen, die von der oben formulierten Norm noch weit entfernt sind. Kein einziger der Studenten kommt an 95% richtiger Lösungen heran, geschweige denn der größte Teil der Gruppe. Dass das auch für amerikanische Medizinstudenten gilt, obwohl sie wie auch die kanadischen und schweizer Studenten deutlich besser als die deutschen waren, war 1968 die große Überraschung für uns. Wir hatten gehofft, mit Reformen der ärztlichen Ausbildung nach amerikanischen Vorbildern das Ziel, einen allgemein kompetenten ARZT auszubilden, doch noch retten zu können. Damit war es aber nach diesem Ergebnis vorbei.
Anhand der Abbildung 2 will ich Ihnen noch zeigen, wie dieses Ergebnis bei den Examenskandidaten an der Universität München für die einzelnen Fragen ausgesehen hat. In der Abbildung entspricht jeder Punkt einem Wert auf der waagerechten Prozentskala für 1967 und einem anderen oder gleichen Wert auf der senkrechten Skala für 1968. Man sieht, dass die Werte sehr eng beieinander liegen. Das zeigt, wie genau wir sagen konnten, wie viel Prozent richtiger Antworten die ärztliche Ausbildung an der Universität München an den inhaltlichen Punkten der einzelnen Fragen erbringt. Die Korrelation zwischen beiden Wertepaaren beträgt 0.96.
Abbildung 2: Diagramm der Prozentzahlen richtiger Antworten von Examenskandidaten in München 1967 und 1968 auf Fragen des internationalen Tripod-Tests für Medizinstudenten und Ärzte.

Nach diesen Überlegungen und Ergebnissen - und den Erfahrungen der meisten von uns - kann es einen allgemein kompetenten ARZT schon lange nicht mehr geben. Somit stellt sich die Frage, wie eine ärztliche Ausbildung und ein Gesundheitswesen aussehen müsste, in denen diese Tatsache berücksichtigt und jedem Arzt die Möglichkeit eingeräumt wird, sich seiner Kompetenz entsprechend zu spezialisieren. Dazu müßte dann ein System der ärztlichen Versorgung existieren, in dessen Strukturen die Kooperation der spezialisierten Ärzte auch gelingt: Jeder Patient muss die für seine Behandlung kompetenten Ärzte finden können.
Wir haben seinerzeit ein Konzept für eine solche Lösung vorgestellt [Kapuste H, Schuster W, Sturm E: Differenzierte medizinische Ausbildung und regionale Patientenversorgung als Aufgaben eines medizinischen Fachbereichs. Ein Modell für die Universität Osnabrück. Schriften zum Bildungswesen in Osnabrück. Verlag A Fromm, Osnabrück 1972; sowie in: black box Studien über die Ausbildung an der Universität. Institut für Ausbildungsforschung GmbH, München, 1(2):35-106, Mai 1972]. Das Konzept ist nie verwirklicht worden. In der DDR gab es ein System von Ambulatorien, in denen die Kompetenzprobleme der einzelnen Ärzte viel besser gelöst werden konnten. Nach der Wiedervereinigung wurden sie alle aufgelöst.
Unser Gesundheitswesen hat das Problem der mangelhaften ärztlichen Kompetenz nur propagandistisch gelöst, einerseits durch unrealistische Ratschläge wie ... fragen Sie Ihren ARZT... und dem entsprechend andererseits die ärztliche Ausbildung zu einem Training entwickelt, in unsicheren Situationen doch sicher und beruhigend aufzutreten. Das haben schon vor mehr als 40 Jahren die Erfahrungen von Soziologen ergeben, die dazu selbst Medizin studiert haben. [,,Training for Uncertainty" Renée Fox in ,,The Student Physician" von Merton, Reader und Kendall, Cambridge, Mass. 1957]. Der Soziologe Howard Becker beschreibt diese Anpassung in ,,The Fate of Idealism in Medical School" - das Schicksal des Idealismus in der ärztlichen Ausbildung [in Boys in White. Student Culture in Medical School, Chicago 1961].
Das müsste aber so nicht sein. Das Problem der Diskrepanz zwischen der Kapazität des einzelnen Menschen und dem Fortschritt seines Fachgebietes gibt es ja nicht nur in der Medizin, sondern fast überall. In der freien Wirtschaft vollzieht sich eine solche Entwicklung ohne große Probleme aufgrund der Wechselwirkung zwischen freien Preisen, Angeboten und Nachfrage.
Unser Gesundheitswesen aber verbietet dem ARZT, mit seinen Patienten ein Honorar für seine Arbeitszeit zu verabreden und setzt sowohl der Spezialisierung der ÄRZTE als auch ihrer Zusammenarbeit miteinander sehr enge Grenzen. Damit kann der Arzt dem Problem seiner systembedingten Inkompetenz in der Regel nicht mehr entfliehen.
So zeigt unser Gesundheitswesen die Merkmale einer fehlfunktionierenden Planwirtschaft. Und ich stelle die Frage, warum sich so eine Planwirtschaft entgegen den allgemeinen Wertvorstellungen in unserer Demokratie so lange halten kann.
Soweit von Herrn Kapuste.
Es hat sich wohl bewährt, möchte man da wohl sagen. Während im alten China die Ärzte und Heiler nur dann bezahlt wurden wenn sie die Kranken tatsächlich geheilt hatten, ist es hierzulande doch weit lukrativer in die Krankheit zu investieren. Gegeißelt von den überschussgeplagten Krankenkassen und gesponsort von der Pharmaindustrie kann man es sich in seinem Sumpf doch recht bequem machen. Zumal man, unabhängig der sozialen und fachlichen Kompetenz, davon doch recht gut leben kann. Nur nichts hinterfragen und "never change a running System"!
Demnächst mehr zu Patentrecht und Medizin.
Ich freue mich auf Kommentare, Post, Lob und Tadel. Viel Spaß
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